South African Scenes

Anbei einige Erlebnisse, teils im Englischen belassen. Manches kann man einfach nicht übersetzten. Speziell die Missverständnisse sind zum Verzweifeln – und zum Totlachen.

TOASTED

Heute, 26.11, in Stellenbosch, im Food Lovers Market. Ich suche nach etwas essbaren. An der Frischtheke stoße ich auf Pizza und Brötchen und jede Menge unidentifizierbaren Zeug. Außerdem Obst und Hamburger. Der Hamburgermacher ist grottenlangsam, also wende ich mich an den Farbigen an der Theke. Vor ihm liegen verschiedene Haufen Brötchen. Mit braunem Inhalt, weißen Inhalt, und grünlichen. Ich deute auf die braun gefüllten Brötchen:

“What is this, please?”

“Toasted?”

“I asked you what this is, please?”

“Do you want it toasted?”

“I don’t know if I want it toasted, WHAT IS THIS?”

“So you want it toasted?”

Ich gebe auf, und deute auf das weiß gefüllte Brötchen.

“What is this”

“Chicken”

Aha. Wir kommen also weiter. Ich deute auf das Grüne.

“And this?”

“Chicken”

OK, nicht hilfreich. Ich ahne meine Chance und deute erneut auf das Braune.

“And this here?”

“Chicken. Toasted?”

“You are telling me these are all chicken rolls?”

“Yes. peri-peri chicken, mayo chicken and avo chicken. Toasted?”

Ich nehme verzweifelt das braune peri-peri chicken und warte 10 Minuten bis das Toasten abgeschlossen ist.

Das System wird mir schnell klar, als ich es weiter beobachte. Eine Vorstellung von Zeit hat man hier kaum. Darum wird wohl einfach solange getoastet, bis der nächste Kunde kommt, der ein Sandwich getoastet haben will. Dann wird das vorherige entnommen und das neue getoastet. Bei mir waren es 10 Minuten. Beim Herrn nach mir etwa 15 Sekunden. Die Dame danach wartet vielleicht jetzt noch auf ihr Sandwich.

ICE TEA

Am 25.11 im japanischen Restaurant in Johannesburg. Von Nick wird mir erklärt dieses griechisch geführte Restaurant sei so erfolgreich, weil die Kellner so gut ausgebildet sind. In der Tat zeigt uns unsere Kellnerin Bilder vom Essen auf einem tablet. Wir bestellen.

“One sparkling water, one ginger beer!”

“One sparkling water. But we don’t have ginger beer. Only craft beer”. Ginger Beer ist eine Limonade, kein Bier, somit wäre ihre Antwort ebenso sinnvoll gewesen wenn sie mir einen Kräutertee angeboten hätte.

“No beer then. Have you got ice tea?”

“Yes. We have homemade ice tea. On the last page.”

Ich suche. Und finde. Und verzweifele: “Is this your ice tea?” frage ich und deute auf die Zeile im Menü.

“Yes, this is our ice tea. Homemade. Very nice.”

Die Zeile im Menü liest sich “Long Island Ice Tea” und gibt das entsprechend alkoholische Rezept an. “No, I don’t want alcohol. Just ice tea. Or a lemonade”. Ich bekomme schließlich Wasser. Wir bestellen das Essen.

“Two portions of new style sashimi and one beef, please.” bestellt Nick.

“So you are having one beef, one portion of seared tuna, and one portion of salmon!” wiederholt sie falsch.

“No, one beef, and two new style sashimi”, erkläre ich.

“Ah. So you are having the beef and two new style, sir, and you are having the salmon!” gibt sie stolz zurück.

“No, one beef for me and one new style, and one new style for him”. Ich deute auf Nick.

Nach ein paar weiteren kleineren Korrekturen haben wir dann sogar ungefähr das bekommen was wir bestellt hatten.

IS THE HEATING ON?

Flug von Johannesburg nach Kapstadt. Wenig Touristen, viele Geschäftsleute. Wir stehen im Bus der uns zum Flugzeug bringt. Der füllige Mann vor mir nimmt die Mütze ab und meint “Is the heating on?”. In der Tat, draußen sind 25 Grad, im Bus sind vielleicht 30 Grad, da er wohl in der Sonne stand. Nun, da die Türen zu sind, wird es schnell wärmer. Fünf Minuten später haben wir locker 38 Grad im Bus. “The bloody heating is on!”. Einige schreien, in der Hoffnung der Busfahrer erhöre sie. Klopfen and die Scheiben. Wir kommen gut gegart am Flugzeug an. In der hier üblichen stoischen Art regt man sich schnell ab (von einem deutschen Paar mal abgesehen), und so werden sicher die nächsten Fahrgäste bald gegrillt.

RECHNUNG? ZAHLUNG?

Geld ausgeben war nie schwieriger. Man bekommt die Rechnung nicht, man bekommt die Ware nicht, man bekommt die Bankverbindung nicht, die Bankverbindung stimmt nicht, die Bankverbindung stimmt aber die Bank kann die Zahlung nicht ausführen.

Seit wir auf der Farm leben habe ich vermutlich kaum eine Rechnung gesehen, die passte. Betrag falsch ist der Standard – Mehrwertsteuer steht nicht auf der Rechnung oder dem Angebot, man soll sie aber dennoch bezahlen. Die Rechnungsanschrift stimmt eigentlich nie. Und das Wort Invoice wird auch gern vergessen, man weiß oft gar nicht dass es eine Rechnung sein soll. Besonders medizinische Labors schicken direkt ein Statement – eine Art Mahnung. Die Rechnung gibt es nur, wenn man mehrfach nachfragt. Und zwar jedes Mal.

Der Gegenstand der berechnet wird, wird meist auch vergessen zu benennen. So bekommt man zwei Rechnungen über den selben Betrag, wenn eine nicht bezahlt wird weiß man kaum ob es für Lieferung 1 oder 2 war. Bezahlt man die Lieferung 2, kommt dann auch mal der Kommentar man habe es schon bezahlt. Schließlich gibt es auf keine Rechnungsnummer als Referenz.

Dennoch will fast jeder Vorkasse. Schließlich kann der Lieferant sonst nicht bezahlen, was er liefern oder herstellen will. Oder man vergisst sonst die Rechnung zu schreiben. Das Desaster ist endlos.

Im Gegenzug glaubt der gute Südafrikaner was auf der Rechnung steht. Auch wenn es nur ein besseres Schmierpapier mit ein paar Zahlen drauf ist. “I invoice 530R” ist die kürzeste Rechnung die ich je hier bekam.

Die folgenden Geschichte macht es deutlich.

Ein Bekannter, nennen wir ihn X, fertigt unter anderem Sattel an. Pferde gibt es hier überall. Er macht eine Spezialanfertigung für einen  Stammkunden. Er vergisst wer der Stammkunde ist. Offensichtlich vergisst der Stammkunde auch dass er etwas bestellt hat. X packt den Sattel ins Schaufenster.

Nun kommt ein anderer Stammkunde und braucht einen neuen Sattel. X meint der Sattel im Schaufenster sei für ihn gemacht. Der Stammkunde kauft den Sattel. Besser gesagt, er nimmt ihn mit.

Nun fällt X auf, dass er noch kein Geld bekommen hat. Er hat aber auch vergessen, an wen er nun den Sattel verkauft hat. Also schreibt X eine Rechnung an JEDEN Stammkunden den er verzeichnet hat (Etwas weniger als dreißig). Und über zwanzig Kunden haben den Sattel dann bezahlt. Das ist Südafrika!

GEBURTSURKUNDE

Kind im Krankenhaus geboren. Einfache Sache, meint man. Nicht so die Geburtsurkunde.

Wir füllen die Formulare aus. Die soll Home Affairs, die Einwanderungsbehörde, gegen eine Geburtsurkunde eintauschen. Standard, ganz einfach.

Wir erleben die folgenden Schritte:

  • Wir bekommen aber unseren Antrag zurück mit dem Kommentar wir bekämen nur dann eine Geburtsurkunde, wenn wir eine Geburtsurkunde dem Antrag beilegen. Aha. Wir sollen in Stellenbosch nachfragen.
  • Ich fahre zu Home Affairs Stellenbosch. Dort wo das Büro sein soll, laut Website, ist es nicht. Drei Polizisten wissen auch nicht weiter. Ich finde dennoch heraus, wo es sein soll.
  • Studenten streiken, für irgendwas. Sie singen und tanzen eigentlich nur. Home Affairs ist darum nicht zugänglich. Die Straßen sind gesperrt.
  • Wir rufen an. Home Affairs Stellenbosch sagt wir müssen zu Home Affairs Paarl, weil die sowas viel besser können.
  • Stephan fährt dennoch zu Home Affairs Stellenbosch. Kein Streik, richtige Adresse. Wir bekommen mitgeteilt, dass wir uns zur Identifizierung mit dem Baby in die Schlange stellen sollen. Aber die Geburtsurkunde würden wir dann doch hier nicht bekommen.
  • Wir nehmen Kontakt mit Home Affairs Stellenbosch. Ich muss hin, den Antrag abgeben. Nicht mehr und nicht weniger. Wurde alles in einer email bestätigt, die auch nur eine Woche benötigt hatte.
  • Home Affairs Paarl, Dienstag morgen. Angestellt vor 7h, schließlich machen sie offiziell um 7.30h auf, und dann sind Hunderte Leute in der Schlange. Nicht so diesmal. Zum einen machen sie erst um 8h auf in Paarl – die Information der Regierung bezüglich 7.30h wird tolerant interpretiert. Außerdem ist der Computer offline. Seit Wochen. Darum kann kaum fast etwas bearbeitet werden. Geburtsurkunden können bearbeitet werden. Dank desses das der Computer offline ist, komme ich für südafrikanisch Verhältnisse schnell dran. Schließlich werden vor mir andauernd Leute weggeschickt, die sich für etwas angestellt haben – und teils stundenlang angereist sind – was nicht bearbeitet werden kann. Der ein oder andere wird leicht cholerisch. Insbesondere der Herr, den sie vorher schon vom Besucherparkplatz verjagt hatten mit der Erklärung dass auf dem Besucherparkplatz keine Besucher parken dürfen, sondern nur Mitarbeiter.
  • Ich komme dran. Die Dame erklärt, meine Frau und das Kind würden fehlen. Ich erkläre ihr freundlich wir haben schriftlich Auskunft dass das nicht erforderlich sei. Sie will nichts davon hören. Bis die Cheffin vorbeiläuft – die eben diese email geschrieben hat. Sie und meine Sachbearbeiterin haben eine angeregte Unterhaltung in Englisch und Xhosa. Sie deutet immer wieder auf das Formular, dass die Fingerabdrücke des Kindes und der Mutter erfordert. Das Formular heißt “Antrag auf Geburtsurkunde eines Kindes 15 Jahre und älter”. Ich weise sie darauf hin, dass das Kinde erst gerade geboren wurde. Selbst für Home Affairs scheint 15 Jahre Bearbeitungszeit lang, so sollte das Kind in jedem Fall jünger als 15 sein. Sie meint sie habe aber keine Formulare für Geburtsurkunden für Babys, nur für 15 Jahre und älter. Die Cheffin klärt was sie zu tun hat. Etwas Gezanke, wir können gehen. Wir bekommen keine Empfangsbestätigung und haben auch keine Ahnung wann und wie die Urkunde erteilt wird. Nur eines wissen wir – sie wird in Pretoria/Johannesburg handgeschrieben, weil der Computer die ausländischen Passnummern nicht schreiben kann.

Wenn alles gut geht haben wir die Urkunde in ein paar Monaten…

DES EINEN SCHADEN, DES ANDEREN FREUDE

Bekannte haben ein Haus an der Küste, Nähe Cape Algulhas. Ein verträumtes Nest, kaum Kriminalität, kaum Menschen. Kaum irgendwas, außer mal Gestank von einem verwesenden Wal. Wenn es belebt ist, ist hier jedes vierte Haus bewohnt. Der Rest sind Ferienhäuser die kaum bis nie benutzt werden.

Unsere Bekannten sind überrascht. Vor der Tür liegt eine Playstation, voll ausgestattet mit Zubehör und Spielen, in einer Tüte. OK, Weihnachten ist nahe, das ist aber komisch. Selbst dem reflektionsscheuen Südafrikaner kommt es merkwürdig vor.

Sie hängen Zettel aus um herauszufinden ob jemand diese bekommen sollte “Playstation vor unserer Tür gefunden. Gehört sie Dir? Bitte melden unter…”. Niemand meldet sich.

Nachdem sie das Ding mehrere Wochen benutzt haben – zur Freude der Kinder und Freunde – meldet sich der Eigentümer. Bei ihm wurde eingebrochen, die Playstation haben die Diebe auf der Flucht vorm Wachdienst wohl fallen lassen.

Leben und Sterben in Afrika. Teil 2-Leben

Als ich ein Kind war hatte ich keine Vorstellung davon, wie mein Leben einst aussehen würde. Ich war in der Schule okay – ich legte keinen Wert auf besonders gute Noten, und die eträglich guten Noten schaffte ich ohne großartig dafür zu arbeiten. Wenn man mal davon absieht, dass ich in der Oberstufe mindestens ein Drittel der Zeit Blau machte, um in Eiskaffees oder Schallplattenläden oder im Wald mit Freunden abzuhängen. Das war meine Art der Arbeit, und eine Jugend vor der Verbreitung des Internets.

Ich wollte nie Astronaut werden, und obwohl alle meine Freunde im Gegensatz zu mir wussten, wie teuer, schnell und stark die Autos meiner Eltern waren, hatte ich durchaus das Verständnis entwickelt dass es sinnvoll ist Geld zu verdienen.

Im Studium war es wie in der Schule – einfach. Ich verwendete mehr Energie auf die hübschen Mitstudiernenden als auf den Studieninhalt. Dennoch war ich recht normal. Ich ging in Diskos – heute würde man Clubs sagen – hörte laute Musik und machte soviel Quatsch wie der Rahmen des Gesetzes und das Punktekonto in Flensburg es zuließen.

Unser Familienunternehmen fand bald mein volles Interesse – teils mit wirklich ungesunden Arbeitszeiten, die es nötig machten im Wechsel mal unter und mal auf dem Schreibtisch zu schlafen. Wenn man Anfang Zwanzig ist, kann man das ja noch. Und schafft es trotzdem sich mal Samstags für vier Stunden Kino & Co mit der Freundin wegzustehlen.

Irgendwann fand ich geregeltere Arbeitszeiten. Die Mühen zahlten sich aus. Die Kämpfe die aus ausfechten musste, um dahin zu kommen, wo ich heute bin. Und wer.

Ich reiste viel, privat und beruflich. Privat damals noch meist mit meinen Eltern. Jahrelang war meine Mutter schwer krank, und irgendwann schied sie dahin, kurz daruf gefolgt von meinem Vater. Ich hatte immer eine sehr gute Beziehung zu beiden, und sie waren fast fehlerfrei anmutende Eltern. Wenn man davon absieht, dass es damals wohl üblich war von morgens bis abends zu rauchen. Und selbst der engste Freund meines Vaters, Chefarzt einer großen Klinik, sagte zu ihm “Wolfgang, Du solltest das Rauchen wirklich sein lassen. Das ist tatsächlich ungesund. Hier, da hast Du einen doppelten Whisky”.  Das war im Krankenhaus im Behandlungszimmer.

Ich bin mit Coca-Cola groß geworden. Von klein auf war ich dem Zucker ausgesetzt. Zu dünn war ich, also sollte ich mehr Kalorien zu mir nehmen. Zucker ist prima, stark kalorienreich, meinte vor Jahrzehnten eine Ernährungsberaterin. Solch Quatsch wird heute noch in Deutschland erzählt, wenn man Eltern erzählt das Frühstück sei die wichtigste Malzeit des Tages. Rein mit den gezuckerten Kellogs. Oder der leicht alkoholhaltigen Kinder-Schnitte, oder wie das Ding auch heißt.

Zu dünn oder zu dick, für die meisten Menschen macht das keinen großen Unterschied. Nur dass sie halt früher sterben (zu dick) oder ihr Skelett z.B. bei Unfällen oder mechanischen Einwirkungen nicht genügend Schutz hat (zu dünn). Mein Freund und Fitnesstrainer Johnny gerät heute noch in Verzweifelung wie wenig Muskeln ich aufbaue bei wieviel Training, so kann ich nicht viel daran ändern. Hätte ich ein anderes Leben, würde es keinen Unterschied machen. Im Alltag Europas machte es keinen Unterschied. Aber bei meiner Lebensart macht es doch mitunter einen Unterschied.

Warum? Nun, die Zeit die ich früher in Clubs verbrachte, verbrachte ich bald immer mehr in der Natur. Ein politisch unkorrekter Geschäftspartner hat es mal so beschrieben “Sie machen doch immer so KZ-Urlaube”. Er wollte wohl sagen, dass meine Vorstellung von Urlaub den meisten doch eher ein Albtraum ist. Wochelanges Wandern im strömenden Regen, zwischen Pfeilgiftfröschen, zu einem Indianerstamm, oder durch die Wüste mit Beduinen, die nichts und auch gar nichts zu essen haben, mit Gepäck durch einen Canyon mit Giftschlangen schwimmem – ich gebe zu, es war oft speziell. Aber ich fühlte, dass es mehr gibt, als das Leben in Europa.

Wir in Europa schauen oft auf die amerikanischen Medien und belächeln die Amerikaner – als dumm, provinziell (was im Inland fern der Küsten der USA auch oft Tatsache ist) oder als auf Ihrem Kontinent abgeschottet sehen wir sie. Europa ist aber nicht besser. Europa wird immer mehr zu einer Feste (=Burg), was um Europa herum passiert, nehmen wir nur aus unserer Sicht war – und ob die Flüchtlinge daran etwas ändern (oder die IS), bezweifele ich. Und so ist es auch schwer in Europa Afrika zu verstehen. Man muss es erleben.

Zurück zum Thema. Im Fitness-Studio in Deutschland wurde ich mal gefragt, warum ich denn so trainiere. Warum nur auf Kraft, nicht Muskelmasse? Damit ich mich mit schwerem Rucksack besser aufs Kamel ziehen kann, antwortete ich. Der Kerl der gefragt hatte, verstand mich ganz und gar nicht. Für ihn waren die Muskeln das Symbol und der einzige Weg Frauen zu abzuschleppen. Für mich sind Muskeln die Möglichkeit neue Abenteuer zu finden und körperlich zu bestehen.

Das vermutlich größte Abenteuer steht mir noch bevor. Vater zu werden.

Darum geht mir auch durch den Kopf, welche Abenteuer ich schon erleben durfte. Und in einigen Fällen muss ich wohl sagen – überleben durfte. Lange vor dem Tod meiner Mutter ging ich an meinem Geburtstag auf einen Berg in Südspanien. Ich glaube es war der sechsundzwanzigste. Meine Mutter wartete im Haus in der Nähe von Gibraltar. Und ich kam erst Tage später fast verdurstet zurück, nachdem ich den Mut fand beim schon längst missglückten Abstieg zu einem mehrere Meter entfernt stehenden Baum zu springen, der an der Steilwand wuchs die ich seit dem Vortag versuchte hinunter- oder hinaufzuklettern. Hätte er nicht gehalten, oder hätte ich ihn verfehlt, würde ich das heute nicht schreiben.

An dem Abend der Nacht in der ich in der Felswand kauerte und versuchte nicht abzustürzen, konnte ich spielende Adler beobachten. Ein einzigartiges Erlebnis. Und gleichzeitig sagte ich mir “Das kann noch nicht alles gewesen sein.”. Und ich schaffte es vom Berg herunter. Und überlebte auch den Bauern, der mir seine doppelläufige Flinte ins Gesicht hielt. Spanische Gastfreundschaft. Nicht zu empfehlen.

Die Schießerei in Miami/USA neben mir nahm ich nicht so ernst, der Kerl der in Be’er Sheva(Beersheba)/Israel neben mir am Bahnhof erschossen wurde beuruhigte mich ein wenig mehr. Schließlich wollte ich meine Freundin besuchen. Das sie dort wohnte, behagte mir nicht. Ich verstand Israel damals nicht. Heute vermutlich auch nicht so richtig.

In irgendeinem Drecksnest am Strand im Schlaf beinahe vom Auto überfahren – die Schlange die keine 30cm von meinem Augen entfernt war als in auf Zypern einen Wasserfall erkletterte – es gab immer etwas zu erzählen. Und dabei habe ich meinem Körper allem ausgesetzt, was keiner haben will.

In der Bilanz habe ich Aberhunderte von Zeckenbissen an nun wirklich allen Körperstellen, Spinnenbisse aus aller Welt, Insektenbisse und Bisse von Ameisen von klein bis groß – und glaubt mir, die Bullet-Ant/Gewehrkugelameise hat ihren Namen verdient – unzählige moskitoähnliche Fliegviecher, die in einem Fall die sonst ruhigen Einheimischen in Aufregung versetzten, nur weil das eine Vieh mir Fleisch aus dem Körper biss, was nur eine als ausgestorben geglaubte Spezies vermochte. Ich bin mit meinem Jeep – mehr aus Dummheit als Heldenmut – drei Meter hoch und über zwanzig Meter weit gesprungen – sehr zum Entsetzen der umstehden Freunde und Lena und zur Begeisterung von Alex neben mir – und bin von einer Hyäne recht sanft gebissen worden. Beim Tauchen versuchte mir ein neugierer Seehund die Ausrüstung wegzubeißen, ich gehe auf Wanderungen die keiner mitmachen will, und nach jahrelanger Quengelei Lenas fliege ich Hubschrauber, oft genug durch Bergschluchten wo Dich keiner in den nächsten zehn Jahren finden würde. Doch das ist nur was ich mache. Nicht wer ich bin.

Leben. Das geht hier ganz anders als in Europa. An einem einsamen Strand aufzuwachen, sich im Meer zu waschen und die nächste Buch zu entdecken, oder auf einem Berg vorm Frühstück einem unbekannten Pfad fünfzehn Kilometer bei 40° mit den Hunden zu entdecken ist durchaus meine Vorstellung von einem guten Leben. Eine Klimaanlage, das teure Auto oder die tägliche Dusche sind Dinge auf die ich hingegen leicht verzichten kann. Dem Leben wie wir es in Europa kennen kann ich persönlich nicht mehr so viel abgewinnen. Dennoch vermisse ich meine Freunde dort, die Kultur und Städte Europas – und manchmal auch die Ordnung. Und vor allem Wälder. Die gibt es hier kaum.

Ein spannendes Abenteuer ist das Leben hier aber auch aus anderen Gründen. Das Leben besteht schließlich nur selten aus Strandwanderung oder Bergbesteigung. Doch man trifft in Südafrika auf so viele wundervolle Menschen, mit unterschiedlichen Kulturen und Lebensgeschichten. Arm oder reich, meist sind sie glücklicher als die Europäer. Und freundlicher. Ein kleines Quätschchen mit dem, den man auf dem Berg trifft. Am Strand. Oder in der Stadt. Hier völlig normal.

Spreche ich in Deutschland jemanden so an, werde ich meist blöd angeguckt. Nur selten gibt es wie hier ein Lächeln und freundliche Worte zurück.

Hier: Jeder hilft dir. Wie der Kerl der mich in seinem – derzeit geschlossenen – Hotel (naja: baufällige Bude) übernachten lies, nur weil das Haus was ich gemietet hatte nicht zugänglich war. Lena bekam von einem Kerl Pfeil und Bogen geschenkt. Der (Human-)Epilepsiespezialst Südafrikas diagnostiziert unsere Hündin Maja – weil der Tierarzt nicht weiter wusste. Und wem wir schon alles helfen durften mag ich gar nicht aufzählen. Meist hilfst Du X mal am Tag. Ohne es zu merken. Mit Deiner Arbeit. Mit Geld. Mit Zuhören. Mit Erklärungen. Oder nur mit einem Telefonanruf.

Das Leben hier ist so voll von extremen und spürbaren Kontrasten. Liebe, Hass, Reichtum, Armut, Gewalt, Nettigkeiten, Großmut, Engstirnigkeit und noch viel mehr – alles an einem Fleck. In einem Moment beschenkt Dich jemand völlig unerwartet, im nächsten Moment hält Dir jemand die Schusswaffe an die Schläfe – wenn Du nicht aufpasst.

Ein Freund sagte mal – der Arm des Gesetzes schlägt hier härter zu als anderwo. Nur meist schlägt er eben gar nicht zu. Du kommst mit verdammt viel davon. Mit 180km/h über die Straße mit 60km/h Limit zu fahren zum Beispiel. Hunde ohne Leine herumlaufen zulassen. An der roten Ampel nicht zu halten, wenn Du es wirklich eilig hast. Aus dem Parkhaus zu fahren ohne zu zahlen. Jemanden aufgrund seiner Herkunft zu diskriminieren (wobei das eine deutsche Perspektive ist: Jemanden einen doofen Deutschen zu nennen, wäre nicht diskriminierend. Genauso wenig wie jemanden zum Spass in ein Wildgehe zu werfen, nur weil er eine andere Hautfarbe hat). Und brennst Du eine halbe Stadt nieder, kommst Du auch damit meist davon. Bis Dich jemand erwischt.

Aber genau diese Freiheit scheinbar konsequenzenlos zu tun was Du willst, ohne das Dich das Gesetz bevormundet oder der Nachbar ermahnt, das ist es was Südafrika so magisch macht. Solange man diese Freiheiten im vernünftigen Maß zu Nutzen weiß.

Deutschland ist da ganz anders. Immer bevormundet Dich jemand. Pöbelt Dich an, weil er meint, es gehe in etwas an. Schaut weg, obwohl er helfen könnte. Afrika hat einen weiten Weg in eine Gesellschaft mit weniger Armut vor sich. Europa hat einen weiten Weg zurück zu mehr Menschlichkeit nötig.

Die etwa 2500km lange Küste und Strände hier sind ein starkes Argument für Südafrika. Das Klima. Die Berglandschaften, die Wüsten und endlosen Salzpfannen sicher auch. Elefanten oder Giraffen. Die sieht man zwar nicht jeden Tag – im Gegensatz zu vielen anderen Wildtieren, die bei uns wohnhaft sind.

Skurile Beobachtungen bieten sich uns – einer unserer Arbeiter, der sonst mit Abstand der langsamste ist, sprintet irre schnell los – um einen Bock bei den Beinen zu erwischen, um ihn in ein schönes Abendmal zu verwandeln. Diesmal hat dieser Bock das Rennen gewonnen. Ein Lächeln auf meinen Lippen. Nicht so auf den seinen.

Doch eben die Menschen sind es die dieses Land so liebenswert machen. Und uns jeden Tag aufs neue schrecklich verzeifeln lassen. Und doch hoffen. Und gleichzeitig sind die Mehrheit dieser Menschen für uns alle, die hier ein wenig oder auch mehr priviligiert leben, die größte, tägliche und verpflichtendste Herausforderung.

Für mich ist klar – wenn es ein Land gibt in dem mein Kind aufwachsen soll, dann Südafrika. Tolle Menschen, viele Freiheiten, tolle Natur. Permamanent gibt es zwar jemanden der Hilfe braucht – aber für den die Hilfe tatsächlich einen Unterschied macht.  Und sie wird ihm so manches Mal zu Teil. Und so wird Südafrika jeden Tag ein klitzeskleines Stückchen besser.

Wo könnten wir glücklicher sein?

Diese Zeilen sind all meinen Freunden in meinem Leben gewidmet, die mich begleitet haben und noch begleiten, und ohne deren Arbeit, Loyalität, Freundschaft, Liebe, Toleranz und ohne deren Ansporn ich heute nicht hier wäre. In meinem Leben. In Südafrika.

Leben und Sterben in Afrika. Teil 1–Sterben

Das Leben ist schön in Südafrika. Das Sterben ist einfach. Es gibt so endlos viele Möglichkeiten.

In Europa ist das anders. Wenn man nicht vom Auto überfahren wird, oder selbst mit dem Motorrad verunglückt – was beides statistisch unwahrscheinlich ist -, hat man gute Chancen im hohen Alter an Krebs zu sterben oder am eigenen Sabbel zu ersticken.

Hier ist das ganz anders.

Unfälle kommen in allen Varianten daher, und sie sind so vielfältig. Fast alle Unfälle, die in Europa mit einem gebrochen Fuß enden, sind hier tödlich. Die Autos, die schon vor dem Unfall schrott waren, halten nichts aus. Der Fahrer ist nicht trainiert zu reagieren. Meist weiß er gar nicht dass er reagieren kann oder soll. Cape Koma halt. Darum sterben hier im Verkehr an einem Wochenende auch mal mehr Menschen als in Deutschland im ganzen Jahr. Und wenn ein kompletter Bus voll Menschenleben ausgelöscht wird, findet das keine Beachtung. Radfahrer fahren zu viert nebeneinander her, und wenn dann einer oder zwei überfahren werden… Naja, die anderen können ja weiterfahren. Falls es nicht zum Unfall kommt, dann weil der Fahrer des PKWs dahinter doch reagiert hat. Der schert dann um das Hinderniss Radfahrer in den Gegenverkehr, ohne zu Gucken, um dort mit einem anderen Fahrzeug zu kollidieren. Fürs Bremsen reicht die Reaktion kaum aus.

So geschah es bei uns vor der Haustür wieder, diverse Menschenleben ausgelöscht innerhalb von zwei Tagen. Ein Betonlaster der zu schnell um die Kurve fährt. Ein PKW der auf die Hauptstraße einbiegt ohne den Verkehr zu beachten. Schließlich können doch alle anderen bremsen. Bisher hatte es wohl geklappt.

Wenn man dennoch unbeschadet durch den Verkehr kommt, hat man gute Chancen ermordet zu werden. Die neuesten Statistiken zeigen auch hier deutlichen Zuwachs in Morden aller Art. Schusswaffen sind es bei uns weniger – die sind eher in Johannesburg gebräuchlich. Hier wird einem der Schädel eher mit einer Machete gespalten, oder mit einem Backstein eingeschlagen. Im Normalfall um einen Geldbetrag von einigen hundert Rand, also vielleicht 10-30 Euro zu erbeuten.

Ist man nun nicht überfahren oder ermordet, wartet nun endlich wieder der Sommer darauf einen dahinzuraffen.

Schlangen haben wir reichlich und eigentlich auf ganz gerne. Derzeit ist es aber viel zu früh zu heiß und trocken, und die Viecher vermehren sich erfolgreicher denn je. Alle paar Stunden trifft man auf eine der großen, sehr tödlichen Arten (Cape Cobra, Puffadder).

Manche werden eingesammelt. Manche rennen weg. Manche überleben es selbst nicht. Und man selbst wundert sich warum man nicht gebissen wurde.

Selbst die Kerle die in Malawi oder Zimbabwe unter Schlangen aufwuchsen rennen zunehmend weg, aufgrund der Menge und Größe der Viecher. Neulich haben wir – Artenschutz hin oder her – zum Selbstschutz gegriffen und eine Cobra mit dem Bagger dem garaus gemacht. Auf harten Boden mussten wir acht Mal zustoßen mit einem tonnenschweren Bagger, bzw. dessen Schaufel, dann war die Cobra in drei Teile zerlegt.

Zuvor hat sie diverse Male in die stählerne Schaufel und in die Reifen gebissen. Der Kopf mit dem stummeligen Muskelrest zeigte immer noch die Fänge – und versuchte zuzubeißen. Wir witzelten mit dem einen Arbeiter, er müsse mit der Schlange in der Schaufel des Baggers mitfahren, dorthin wo die Reste entsorgt werden sollten. Prompt kletterte er zu dem sich wieder bewegenden Cobra-Rest in die Schaufel. Auch an schlechten Witzen kann man hier sterben. Er hat es aber überlebt.

Schlangen sind aber nur ein Gefahrenfaktor. Die Chance vom Pavian niedergestreckt zu werden ist dabei geringer als vom Löwen gefressen zu werden. Das passiert – immer mal wieder – nur Asiaten, die für das Foto schön posieren und den Löwen umarmen wollen. Der Löwe wird dann erschossen, weil er ein Menschenfresser ist.

Wir dagegen haben neulich Erfahrung mit einer anderen Bedrohung gemacht. Bienen. Diverse Stiche hatte ich in meinem Leben, ich bin nicht allergisch. Lena und unser Besuch der da war war das wohl auch nicht. Die Bienen aber reagierten wohl allergisch auf mich. Sie verteilten diverse Stiche an alle anderen und an die Hunde, und mich bedachten sie gleich mit rund 40 Stichen ins Gesicht und den Nacken. Erst mal nicht so schlimm, dachte ich. Arzt? Wozu? Später musste ich aber doch hin. Die südafrikanische Honigbiene jagt im Schwarm. Schicht eine, versuchen alle zu stechen. Na super. Die Ärztin meinte nur – neulich habe sie ein Pferd behandelt, das hatte nicht ganz so viele Stiche, aber ähnliche Symptome. Drei Tage lang hätten sie dann alles versucht. Dann sei es doch verstorben.

Ich überlebte und überlegte ob ich tatsächlich beim richtigen Arzt war. Ein Tierarzt war es eigentlich nicht.

Kommt man nun weiter in Südafrika herum, ist man früher oder später auf eines angewiesen: “Service”. Die Wartung des PKWs. Oder des Flugzeugs. Hubschrauber. Fahrrad. Was auch immer.

Es gibt nichts was in und um Kapstadt mit der immer vorhanden Begeisterung nicht kaputt gemacht werden könnte. Wartung oder Reparatur nennt man das. Man gibt Geld und ein halbwegs funktionsfähiges Transportmittel, und bekommt ein weniger funktionsfähiges Transportmittel zurück, dafür aber mit allen Wartungsstempeln.

Wenn dann mal Bremsen versagen, es reinregnet, Bolzen aus dem Motorraum fallen, dann gibt es Kommentare wie “Wir wussten ja nicht dass Sie so starkt bremsen wollen”, “Der Bolzen ist aus dem Motorraum rausgefallen, weil wir da was ausgebaut haben, versehentlich, dann haben wir es wieder eingebaut, und der Bolzen hat sich wohl ganz von allein gelöst. Wir haben ihn richtig festgeschraubt” oder “Das Wasser läuft aber nur herein wenn es regnet”. Aha. Eigentlich noch lustig, wenn man nicht um die beinahe tödlichen Unfälle weiß.

Bei uns gibt es für Touristenrundflüge einen bevorzugten Typ Hubschrauber, den Robinson 44. Von denen hatten die Tourunternehmer sechs Stück in zwei Jahren. Überall auf der Welt fällt so ein Ding mal herunter. Wenn man zehn hat, vielleicht alle zehn Jahre mal einer. Hier mit sechs in Betrieb waren es gleich vier Stück in zwei Jahren, die aus der Luft fielen. Es war zwar kein Bolzen der sich aus dem Motorraum löste, aber Kapstädter Wartung hat dabei durchaus geholfen. Ein anderer Hubschrauber ist in der Luft einfach auseinandergefallen. Wie in einem schlechten Werbespot einer Versicherung.

Wenn wir hier Hubschrauber mieten findet man eigentlich immer einen Mangel den man in der Luft als Pilot nicht haben will. Und als Tourist mit einem Leihwagen hat man noch schlechtere Chancen. Und zuhause sieht es nicht besser aus. Vor einigen Tage habe ich die Steckdose im zukünftigen Kinderzimmer angefasst – am Rahmen – und voll einen gewischt bekommen. Normal hier. Alles ordentlich verdrahtet, meinen die Experten. Aber sowas kommt schon mal vor. Je nach Sonnenstand oder Sternenkonstellation. Demnächst schreibe ich “das große Buch der südafrikanischen Ausreden”.

Übrigens kann man auch prima durch südafrikanisches Design sterben. So sind die Stecker für die Steckdosen mit zwei wichtigen Merkmalen konstruiert: Erstens: Man bekommt nie zwei Stecker nebeneinander. Kaufst Du eine Mehrfachleiste für 8 Stecker, passen nie mehr als drei gleichzeitig rein. Zweitens: Wenn Stecker halb in der Dose sind, sind sie aufgrund der Form schlecht zu greifen. Dann umfasst man sie, kommt mit den Polen in Kontakt, die aufgrund der enormen Länge noch Kontakt zur Steckdose haben, et voilà – wieder gibt es einen gewischt. Auch dafür gibt es Erklärungen.

In Johannesburg gibt es wieder mal Verkehrstote. An sich nichts ungewöhnliches. Diesmal ist aber eine temporäre Brücke eingestürzt, die die unterbezahlten Arbeitskräfte des ärmsten Townships über eine Autobahn in die teuerste Gegend Johannesburgs bringen soll – um in Gärten, Restaurants und Läden zu arbeiten. Trotz pressewirksamer Empörung – die mehr den verursachten Staus gilt als den Todesopfern – geht mir der Gedanke nicht aus dem Kopf, ob diese Brücke nicht besser gebaut gewesen wäre, wenn sie zwei weiße Viertel hätte verbinden sollen. Solch ein Gedanke ist aber rassistisch. So funktioniert Südafrika nicht.

Das Unternehmen das die Brücke baute hat, mit den für gar nichts qualifizierten Arbeitskräften, hat getan was man hier immer macht. Möglichst schnell etwas zusammenfuschen, was irgendwie hält. Meistens. Eine Weile lang. Dabei ist es egal ob Du weiß oder schwarz bist, ob Du stirbst, weil Du Dich mit Deinen Kindern über die Brücke schleppst oder in der S-Klasse unter der Brücke warst, als sie zusammenbrach und Dich in den Tod nahm. Morgen kümmert es keinen mehr. Willkommen in Südafrika. Ein wunderbares Land, solange man lebt.

Johannesburg

Eine Woche in Johannesburg. Uff. Eine andere Welt. Ich bin mal wieder beruflich hier. Die Stadt nervt mich immer. Noch mehr Kriminalität, hohe Mauern überall. Im Gegensatz zu Kapstadt ist man hier gestresst, hektisch. Immer auf der Suche nach dem nächst besseren Restaurant, nach dem reicheren Opfer, nach dem wohlhabenderen Freier. Die Leute an der Kreuzung – typischerweise sind es etwa sechs bis acht an einer Autobahnausfahrt und der daran anschließenden, die Autobahn kreuzenden Brücke – wollen Deine Scheibe reinigen. Nick gibt ihnen immer Geld, damit sie das Auto nicht anfassen. Er kennt seine “regulars”. So sagt er “Du siehst schlecht aus” zu dem Kerl dem er fünf Rand gibt. Der gibt zu er schnüffele wieder Klebstoff. In zwei bis drei Jahren wird er tot sein. Er ist gerade Zwanzig.

Die Bewerbungsgespräche bei dem Unternehmen, bei dem ich involviert bin, werden in zweiter Runde nur noch von Profis gemacht: Ein Ex-Militär / Ex-Polizist befragt für ein paar Rand die Bewerber. Er quetscht sie aus. Sie stimmen freiwillig einem Lügendetektortest zu. Der heutige Bewerber wird gefragt, ob er Dinge über 50 Rand (4 Euro) gestohlen habe. Er antwortet mit nein. Hat er geraucht? Ja. Regelmäßig Alkohol? Ja. Ecstacy? Ja. Crack geraucht. Ja. Meth? Ja. Wenigstens ist er ehrlich. Er bekommt den Job nicht.

Die Politik der Regierung soll die Schwarzen an die Macht bringen und wohlhabender machen. Die Politiker bevorzugen aber sich selber wohlhabender zu machen. Ihre Brüder und Schwestern, wie es in politischen Reden immer genannt wird, deren wird sich erst später angenommen. Die Armut wird allgegenwärtiger:

Ein Unfall. Auf der N1 verunglückt ein LKW mit 100 Kühen. In Kürze kommen Leute an. Mit Messern und Eimern gehen sie auf die Kühe los um sich Stücke aus ihnen herauszuschneiden. Wohlgemerkt aus den lebend, nun frei herumlaufenden Kühen. Ein Kerl packt eine Kug beim Schwanz, die Kuh versucht zu fliehen, der Kerl versucht mit einer selbstgebastelten Axt ein Stück aus dem Hinterbein herauszuhacken. Selbst für Südafrika ein barbarischer Akt, begannen von vielen Leuten. Der Unfall ist übrigens passiert, weil dieselben Leute Steine von einer Brücke in den LKW geworfen haben. Der LKW Besitzer ist nicht so überrascht wie die örtliche Presse. Im Eastern Cape sei ihm das letztes Jahr schon passiert, einmal mit Schafen und einmal mit Schweinen.

Gleichzeitig überrascht in Kapstadt die Natur. Ein Rudel (oder wie man auch immer die Mehrzahl nennt) der berüchtigten Killer-Wale, Orcas, sind in Kapstadt und schwimmen die Strände entlang, um hier und da mal einen Seehund einzumampfen. Ein Schauspiel dass ich verpasse.

Unsere Freunde in Joburg halten auch viel vom Essen. In Johannesburg spielt das Leben halt im Büro, Einkaufszentrum oder im Restaurant statt. So gehen sie zur Abwechslung mit Freunden zu einem Kochkurs. Ich frage was sie gelernt haben. Die Antwort war wage. Mir wird schnell klar warum. Sie haben ihre Haushälterin mit zu dem Kochkurs genommen, damit sie die Arbeit macht. Eine fragliche Strategie wenn man Kochen lernen will.

Mancher hat aber gelernt wie er den Teller voll bekommt. Hehlerei ist an der Tagesordnung, Diebstahl ebenso. Mittlerweile wird z.B. jede Sendung von Mobiltelefonen, die typischerweise per Luftfracht ankommt, von mindestens zwei Wachpersonen mit Maschinengewehren bewacht, von der Abladung aus dem Flugzeug bis zum Zielort. In letzter Zeit haben es die Waren nicht mal mehr aus dem Flugzeug bis aufs Rollband geschafft, so schnell wurden sie geklaut.

Diese Zeilen habe ich schon vor Monaten geschrieben, aber nie vollendet. Ich hoffe sie machen Euch trotzdem Freude.

Schwitzen, auch in der Nacht

Uff. Da konnten wir nachts nur Schwitzen. Aber nicht wegen der Wärme.

Es ist immer noch Winter, aber wir haben ein paar warme Tage. Morgens und abends ist es frisch, tags heiß. Aber man spürt von der Hitze nicht viel, so stark bläst der Wind.

Es ist Samstag, wir – Lena, ich und die Hunde – sind seit einigen Tagen in Franschhoek, in unserer neuen Heimat. Die Möpse und Athos haben einige Wanderungen im angrenzenden Naturreservat hinter sich, und auch in den Bergen.

Heute ist es wieder heiß. Das besondere: Kein Wind. Darum fühlt man die Wärme. Endlich. Nicht wieder 28 Grad und Winterpulli, sondern 31 Grad und T-Shirt. Besser. Bis wir nachmittags die Rauchwolke von Osten sehen…

Der Nachbar ruft an. “Seht ihr den Rauch?”. Na klar, was denkt der denn. Die Wolke ist so groß das jeder, der Augen hat, sie nicht übersehen kann. “Wenn es näher kommt schnell ins Auto und weg von hier.” Aha. Danke für den praktischen Rat.

Feuer sind hier normal. Jeden Sommer verzehren sie etliche Farmen. Sie entstehen fast immer dadurch, dass Mitmenschen einer bestimmten Hautfarbe Feuer für den Braai machen, dann braaien, und anschließend nach Hause gehen ohne das Feuer zu löschen. Diesmal sind es Kinder die das Feuer auslösen.

Glücklicherweise gibt es keinen Wind. Das Feuer breitet sich nur langsam aus. Scheinbar. Nachts stehen einige Quadratkilometer Berg neben uns in Flammen. Die Feuerwehr meint nur, man müsse es brennen lassen. Gelöscht wird nur wenn es schlimm wird. Achso. Wir haben ja keine Ahnung. Und sorgen uns umso mehr. Wir riechen den Rauch, wir sehen die Flammen in unmittelbarer Nähe. Stell Dir vor der Garten des Nachbarn steht in Flammen und die Feuerwehr sagt “Das Haus brennt ja noch nicht”. Same thing.

Am nächsten Morgen gibt es keinen echten Sonnenaufgang. Der Himmel ist vom Rauch verhängt. Doch dann: Der Wind ist wieder da. Normale 60-120km/h pusten die Flammen zu uns. Kap der Stürme.

Stundenlang rätseln wir. Schließlich gibt es Gewissheit. Eine Straße am Fuß des Berges ist wie eine Feuerschneise. Genau dort stoppt das Feuer. Nach eineinhalb Tagen.

Soetwas muss ich nicht wieder haben. Werde ich aber vermutlich. Die Nachbarn helfen normalerweise bei zwei bis drei Bränden pro Jahr. Mal sehen wann – und wo – wir das erste Mal helfen dürfen.

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Und als Bonus gibt es noch ein Bild vom “Tick-Tape”, dem Panzerband als Zeckensammler (siehe vorherigen Blog-Eintrag)

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Möpse, Zecken und hausgemachter Strom

Lena ist in Deutschland. Maja ist fort. Athos ist deprimiert. So haben wir also zwei Möpse adoptiert, mangels Alternativen. Andere ältere Hunde waren nicht zu finden.

Die kleine Lizzie erinnert an ein Eichhörnchen. Flink springt sie umher, auf Stuhl und Tisch, und auch in der Natur bewegt sie sich recht geschickt – für einen Stadthund aus Joburg. Von Tag zu Tag wird es besser. Sie soll drei Jahre alt sein. Ihr Verhalten legt nahe, dass sie wohl eher zwei Jahre oder jünger sein mag. Der Tierarzt meint, ihre Zähne wären so schlecht, sie könne sogar noch älter sein. Naja. Aber Athos spielt mit ihr, zumindest einmal am Tag. Der Korb wird geteilt, das Futter nicht.

Gigi, 11 Jahre, ist da ein anderes Kaliber. Sie hat den Gesichtsausdruck von Sylvester Stallone, wenn man sie mal anfasst schreit sie dabei wie ein Kandidat aus einer RTL Nachmittagstalkshow, und dabei hat sie das Benehmen eines um sich urinierenden Welpen. Nur in der freien Natur verzichtet sie darauf ihren Körperflüssigkeiten freien Ablauf zu lassen. Sie zu lieben muss ich noch lernen. Athos ignoriert sie konsequent.

Lizzie und Gigi sind ungewohnt. Sie stehen einem immer auf den Füßen. “Komm her” trainieren kann man nicht, weil die Hunde nie mehr als 70cm entfernt sind. Außer wenn der Freßnapf voll ist. Das dauert aber nur 30 Sekunden, dann ist so eine Mopsfutterportion vom zugehörigen Mops eingemampft. Athos braucht ca. 5-8 Minuten. Während dieser Zeit umschwärmen die Möpse ihn wie die Fliegen das Nutellabrot.

Lizzie ist besonders, ääähm, folgsam. Ihr Spitzname ist trip hazard – Stolperfalle. Ob beim Schuhe anziehen oder beim Aufstehen aus dem Bett. Man kann schnell drauftreten, wenn man nicht richtig aufpasst. Ich traue mich kaum Alkohol zu trinken…

Nun sind wir für eine Woche in Franschhoek auf dem Land. Gigi liegt am liebsten rum, außer wenn es halt Geräusche aus der Küche gibt. Die sind aber rar. Da die 800m lange Stromleitung zum Übergabepunkt defekt ist, müssen wir seit drei Wochen ohne Strom auskommen. Nun gibt es aber endliche einen Dieselgenerator. Der steht 150m vom Haus entfernt. Morgens laufe ich über die oft trockene Wiese, die sich zwischendurch auch mal in eine Matsch-Mondlandschaft verwandelt, um in den Container zu klettern und den Generator zu starten. Dann geht es ab ins Haus, Toilettenspülung betätigen. Die Pumpe fürs Wasser hängt auch am Strom. Bisher habe ich mich im Wasserfall und Bach gewaschen. Das hier heißt ja nicht ohne Grund Waterfall Farm. Die Dusche macht aber mehr Spass, und macht auch mehr sauber.

Hier ist es extremer als in Kapstadt. Die Hitze an warmen Tagen ist heißer, die Kälte deutlich kälter und der Wind bläst noch mehr als am Kap der Stürme. Gestern hat es den Hundekorb weggepustet, weil Athos aufgestanden ist. Knappe 300m weit. Dann ist er an einem Baum hängengeblieben. Wir haben eine Ewigkeit gebraucht um ihn zu finden.
Danach sind wir mit den neuen Möpsen zum Wasserfall gelaufen. Auf halben Weg treffen wir Eric, einen Arbeiter von der Nachbarfarm. Er schreit und gestikuliert als er Athos auf sich zukommen sieht. Bei der ersten Begegnung ist er auf den Bakkie gesprungen. Eric, nicht der Athos. Ich rufe ihm zu, dass Athos friedlich gestimmt ist. Eric gestikuliert wild. Dann sehe ich sie. Eine fette Puffadder sitzt direkt vor Athos. Eric meint er wolle sie einsammeln. Ihm fehle nur etwas. Vermutlich der Mut.

Dies ist nur ein Beispiel von vielen merkwürdigen Begegnungen. Das Leben hier erzeugt oder erfordert gar ein anderes Bewusstsein als das Leben in Europa. Du denkst permanent wenn du dich im Freien bewegst: Wenn mich – oder den Athos – jetzt eine Schlange erwischt, wie verhalte ich mich? Wo ist das Krankenhaus? Habe ich die Notrufnummer? Wie viele Stunden brauche ich um dahin zu kommen? Oder du triffst auf einen Menschen. Du bewertest: Alte Frau, weiße Haut – ungefährlich. Junger Kerl, schwarz – kein Problem. Zwei farbige die brüllen und lachen – vermutlich auf Drogen – lieber Abstand halten.

In Europa ist Sicherheit allgegenwärtig, dafür ist Freiheit und Einsamkeit der seltene Luxus. Hier ist Sicherheit ein ungewisser Luxus, aber die Freiheit und Einsamkeit einzigartig. Wir laufen zu einem See. Kein Mensch. Wir gehen in die Berge. Keine Seele. Keine SMS oder WhatsApp. Nichts für Menschen die sich permanent austauschen müssen. Außer wenn Du einen guten Laptopakku hast und einen Blog schreibst.

Dabei erwische ich wieder eine. Verdammte Zeckenzeit. Jede Nacht wache ich fünf bis zehn Mal auf, um eine Zecke von meinem zerbissenen Körper zu pflücken. Der Generator ist aus, die Stirnlampe bringt Licht auf den Körper. Früher habe ich die Zecken auf dem Nachtisch zerquetscht. Mit einem Handy oder einem Glas. Mittlerweile habe ich die Idee vieler deutscher Chinarestaurants kopiert: Ich nehme Duct-Tape / Panzerband und drücke die Zecke auf die Klebefläche. Morgens wird der Streifen entsorgt. Wenn mal mehrere Zecken auf einer Stelle sitzen und die nicht zu groß sind – und somit nicht sehr fest sitzen – dann hilft das Klebeband auch zum Enthaaren und Entzecken gleichzeitig. Jetzt ist halt Zeckenzeit, aber in diesem Jahr nerven sie ganz besonders. Meine Zeckenbisszahl ist mittlerweile deutlich dreistellig in diesem Jahr, viele Bissstellen tragen zwar keinen gefährliche Viren andeutenden Hof, aber sie entzünden sich trotzdem gern und jucken wie blöd.

Immer wieder überraschen die Menschen hier, ich habe es schon oft geschrieben. Mein Freund Schalk, der neulich versucht hat beim Messerwerfen ein vom Ziel abprallendes und schnell rotierendes Messer aufzufangen, an sich kein Werk der Genialität, kommt mich besuchen. Seine Finger sind kaputt. Er habe sich die Fingerkuppen abgeschnitten. Warum, frage ich? Na, es war ein Unfall. Er habe eine Glühbirne wechseln wollen, das passiere so etwas schon mal. Irgendwie hat er die mit seinen Pranken zerquetscht. Und man habe ihn mit diversen Stichen wieder genäht, aber sie hatten gerade kein Schmerzmittel, weder vorher noch nachher, so habe er sich selbst “irgendein Zeug” besorgt. Jetzt beschwert er sich, dass die Stiche schmerzen… ich bin froh, dass er nach Selbstmedikation überhaupt noch lebt.

Heute ist wieder einer dieser Wintertage. Der Wind, der in den letzten Tagen mit bis ca. 100km/h ums Haus fegte, ist weg. Die Sonne ist da. Es sind knapp über 30 Grad. Es ist Sonntag, kein Hund bewegt sich, und auch ich mich nur bis zur Hängematte zwischen zwei Olivenbäume.

Dann kommt Shannon, der Filialleiter von Bearings 2000 in Kapstadt. Wir wollen mit seiner Frau braaien. Da er weiß, dass Strom derzeit nur aus dem Generator kommt, hat er alles mitgebracht. Und ich meine alles. Eine Gartenlaube ist das einzige was nicht dabei ist. Er verschmäht meine Kohle, schließlich hat er Holz migebracht. Nicht irgendein Holz, sondern sekelbos – Sichelbuschholz. Das brennt länger und gibt einen besseren Geschmack, meinen die Leute hier. Noch zehn Jahre hier und ich werde es vielleicht auch schmecken.

Beim Anzünden geht er professionell vor. Man stellt es sich so vor – Feuer machen in Afrika: Ein Band um einen Stock, schnell bewegt, erzeugt Drehbewegung auf einem Holzssplitter. Damit wird trockenes Gras angezündet. Sieht man in jedem Film der im Busch spielt, lernt man gern im Survivalkurs. Nicht so Shannon. Der schleppt den 18kg Gastank an, der mit einem Schlauch und einem Brennelement aus einem Gas-braai ausgetattet und unter dem Holz platziert und angezündet wird, bis das Holz lichterloh brennt. Einfacher als survival, schneller als Anzünder und gesünder als das Benzin welches ich in den letzten Wochen im Regen immer zum Anzünden der Kohle benutzt habe…

Nach nur 2 Stunden ist aus dem Feuer Kohle geworden, und die Kohle hat schließlich die perfekte Temperatur erreicht. Eine halbe Stunde später gibt es endlich etwas zu beißen. Die chops, kurz für lamb chops, werden ordentlich schwarz gebrannt, weil Shannon das Fett nicht mag. Innen sind sie aber noch rosig bis roh. Lecker! Die Maiskolben sind süss und gar, das Bier ist schon verzehrt seitdem das Holz brannte. Das ist Südafrika!

So, und nun ist es ein paar Tage später. Der Generator hat neulich den Geist aufgegeben, der Laptopakku war dann schnell leer. Der Mensch der den Generator verkauft hat meinte nur dass seit 50 Stunden ein Warnung da gewesen wäre, er habe sie auch nicht gesehen. Ob der Generator wieder funktioniert – ich werde es demnächst erleben. Und berichten, wenn es etwas spannendes gibt.

Vom Tod und vom Leben und von sonderlichen Tieren

Majas Tod vor genau drei Wochen minus drei Stunden ist für mich mein ganz persönlicher, umgekehrter Urknall: Plötzlich ist nichts mehr da. Gar nichts.

Ich habe es schon kommen sehen: Diagnose Gehirntumor. Die Ärzte, die besten Humanmedizinier Südafrikas auf ihrem Gebiet, sagen aber kein Problem. Doch ich sehe es. Die Symptome werden schlimmer. Maja fällt beim Spielen mit Schafen um. Maja fällt beim Wandern um und ertrinkt fast in einer Pfütze. Die Epilepsieanfälle werden mehr und mehr, trotz Medikamenten. Als ich nach Deutschland reise verabschiede ich mich von Maja. Und bemühe mich daran zu glauben, was meine Ratio mir als Zahlenmensch vorgibt: Dass sie statistisch sicher noch ein Jahr zu leben hat.

Hatte sie dann aber nicht. Sie hörte auf zu atmen, so wie wir es alle irgendwann einmal werden. Für einen Moment oder für eine Ewigkeit, oder doch eher für eine Zeitspanne irgendwo dazwischen, macht alles keinen Sinn mehr. Sie ist weg. Was soll das Leben noch? Die besten Momente sind vorrüber, in denen Maja mit Athos, Dora und Lena und mir in den Wellen spielte und Käfern hinterherjagte. Oder Surfbrettern.

Lena ist in Deutschland, ich zurück in Afrika. Athos läuft gelangweilt seine Runden, er wird von Tag zu Tag depressiver. Er hört auf zu fressen, guckt apathisch. Normalerweise hören Hunde nach etwa drei Tagen auf zu trauern. So ging es Athos nach Doras Tod. Da hatte er Maja noch. Doch diesmal fängt die Trauer erst zehn Tage später richtig an. Er lässt es mich spüren, wenn ich anfasse, wenn ich ihn füttere, wenn ich mit ihm ausgehe.

Dann schlägt er dem Tod ein Schippchen. Wir wandern entlang des Tafelbergs zum Windberg (Devils Peak). Es ist heiß. An einem Brunnen machen wir Pause. Eine von vielen.

atop

In einer Schlucht suchen wir erneut Schatten und Wasser. An meinen Zehen sehe ich, was an ich auch an Athos Pfoten sehe! Eine Puffadder, die Schlange die hier für die meisten Toten verantwortlich ist. Keine Ahnung warum, aber sie enschließt sich langsam davon zu winden. Nicht zu beißen. Weder Athos noch mich. Obwohl wir fast auf ihr standen. Es ist wohl zu heiß zum beißen. Athos ahnt nichts von seinem Glück und wir wandern ein paar Stunden weiter. Wie schwer die Viecher zu sehen sind, mag das Bild zeigen…

pufffy

Dem Nachbarshund ergeht es nicht so gut. Unsere neuen Nachbarn haben 8 Hunde und ein Schwein als Haustier. Einer der Hunde ist ein kräftiger Pitbull. Der wurde eben von einem Leoparden angegriffen. Das Gesicht musste mit über fünfzig Stichen genäht werden. Armes Schwein, der Pitbull.

 pitbull

Das macht mich aber wieder neugierig. Leoparden sind doch von den Farmern ausgerottet, so dachte ich. Ich erfahre dass Leoparden bei uns auf dem Grundstück gar nicht so selten sind. Oder Lynx (Karakal/Luchse). Die haben im letzten Jahr bei zwei Nachbarn schlappe 13 Katzen gefressen. 12 beim einen und eine beim anderen. Jetzt hat keiner mehr Lust auf Hauskatzen. Außer den Lynx, die haben scheinbar Appetit bekommen. In welchem Gebüsch die nachtaktiven Gesellen wohnen, wissen wir in etwa. Athos hat dort Hausverbot.

Dafür haben wir eine neue Art der Hundeunterhaltung. Morgens kommt ein Pfau, und setzt sich direkt vor Athos auf die andere Seite der Glastür. Er läuft auf und ab. Athos kann sich nicht entscheiden, ob es ihn nicht interessiert oder er ihn fressen will.

pfau

Am nächsten Tag kann ich dann aus einem anderen Fenster kaum noch raussehen ohne zu staunen. Ein Pavian, der sich an der Scheibe anlehnt, erschrickt sich plötzlich. Er drückt sich mit einer Hand von der Scheibe ab und flüchtet. Raaaatsch! Dabei hinterlassen seine Krallen einige 30cm langen Kratzer auf der Scheibe. So ein Vandalist. Dem möchte ich nicht zu nahe kommen.

Fünf Tage lang habe ich kein Wasser und keinen Strom. Nunja. Afrika halt. Der Platz an dem wir leben heißt aber nicht ohne Grund Waterfall Farm. Ein Bachlauf, der sanft den Hang herunterplätschert, dient als Dusche und Bad. Ist eigentlich auch nicht schwer. Es hat gerade zwei Tage geregnet, die Matsche ist knöchelhoch oder bullytief, je nachdem.

Nachts erfreut der moderne Kindle mit Beleuchtung die Augen; diverse Bücher vermögen kaum zu unterhalten. Bis ich es eines Abends sehe. Aus den Augenwinkeln. Nur ein Schatten. Ich schiebe es auf den Alkohol. Moment, ich bin stocknüchtern! Da, wieder, ein Schatten flitzt an mir vorbei. Ich denke schon ich halluziniere. Bis irgendwann selbst Athos den Kopf renkt. Und wir feststellen, dass wir im Haus auf der neu geschaffenen Flugroute einer Fledermaus sitzen.

Nunja. Raus die Fledermaus! Also Fenster und Türen auf. Tür zum Schlafzimmer zu, damit falls ein Pavian ins Haus kommt er sich nicht zu uns ins Bett legt. Morgens meine ich zu erahnen, dass die geflederte Maus weg ist. Vermutlich sehe ich sie nur einfach nicht. Ich werde berichten. Dafür sehe ich die Reste vom letzen Braai, sehr absonderlich: Gestern habe ich den Teller vergessen, auf dem ein lamb chop und reichlich Boerewors (Rindshackwurst) liegt. Der chop ist von der Boerewors bedeckt, als ich ihn vergesse. Eigentlich sollte Athos beides bekommen, aber er trauert und fastet weiter. Jemand anders faset wohl nicht. Die Boerewors ist fein säuberlich zur Seite geschoben, der lamb chop einen Meter weiter auf der Küchentheke bis auf den Knochen chirurgisch abgenagt. Wer wars? Keine Ahnung. Paviane würde alles holen. Mongoose fräß auch alles. Fledermäuse sind auch nicht muslimisch oder aus sonstigen Gründen so selektiv. Der Nachbar oder Pfau? Arbeiter von der Baustelle nebenan? Afrika bleibt ein Rätsel.

Apropos Arbeiter nebenan. Ich wundere mich eben, warum ich schon seit zwei Tage keine Schlange mehr gesehen habe, da treffe ich den Nachbarn. Das kann man jetzt falsch verstehen. Der ist echt nett. Ich dusche abends bei ihm – bei dem kommt das Wasser aus der Leitung, und nicht aus dem Wasserfall. Obendrein gibt es “Ginantea” wie Douglas Adams gesagt hätte – Gin and Tonic. Er erzählt mir, dass ein Arbeiter heute eine Cobra gehäutet hat. Vom Schwanz zum Kopf, den sie dann verloren hat. Der Kollege war wohl aus einem anderen Kulturkreis. Jedenfalls haben ihn alle angestarrt, als er die Schlange einmampfte. So ein Banause. Wenn man sich schon in der freien Wildbahn ernähren will  werden hierzulande Schafsköpfe, Nilgänse oder Hühnerlebern gegessen. Gegebenfalls auch mal eine Antilope, wenn man schnell genug ist.

Athos und ich bekommen ein paar Mal Besuch von Freunden, teils mit Hunden. Das muntert uns beide auf. Wir fällen die Entscheidung. Als Lena eine Woche zuvor noch bei uns ist sprechen wir schon darüber. Wir bestatten Majas Asche am Nordhoek Beach, wo auch schon Dora verstreut wurde. Und überlegen uns den Plan:

So kommt es, dass ich zwei Möpse adoptiere. Athos braucht Gesellschaft. Da wir beide Kerle sind, und ich mir überlege wie es ihm gehen muss, bin ich für zwei Mädels. Er ist zu dominant und käme mit einem anderen Kerl nicht gut klar. Zwei Mädels zu haben ist er von klein auf an gewohnt. Wir wollen keine Welpen. Lena nicht, ich nicht, und Athos sicher auch nicht. Ältere Hunde gibt es hier beim Tierschutzverein nicht. Die werden umgehend eingeschläfert, nur niedliche Welpen können vermittelt werden. Und da die unausgebildeten und an Tieren desinteressierten Mitarbeiter keine Ahnung haben, werden auch oft Welpen eingeschläftert, weil sie halt alt aussehen. Nunja, zwei Damen sollen es sein, Lena findet eine Mopsschutzagentur (oder wie immer man auf Deutsch sagen würde), dort gibt es auch ältere Exemplare. B-Ware, bereits umgetauscht, gewissermaßen, Hund mit einer nicht immer angenehmen Vorgeschichte.

Freitag kommen Athos Möpsinnen an. Die eine ist drei Jahre alt uns soll ihn aufmischen und aufmuntern, die andere ist elf und kommt aus Mitleid und als Zugabe, um noch ein paar erträgliche Jahre bei uns zu haben. Ich hoffe Athos wird, wenn auch nicht wie früher, zumindest wieder lebhafter.

Es ist Winter. Noch. Eine Jahrezeit geht, andere kommen. Die ersten Lilien des aufgehenden Sommers sind schon da.

winter

DANKE an alle, die verstanden haben, dass wir unsere Ruhe haben und nicht auf Majas Tod angesprochen werden wollten. Bis auf einige wenige haben es alle verstanden… Bald gibt es mehr und bestimmt spannendere Geschichten vom anderen Ende der Welt. Kommentare sind wieder erlaubt und sogar erwünscht!

Maja 2006-2014

Unsere Maja ist heute nacht im Alter von acht Jahren gestorben, nach tollen Abenteuern und scheinbar endlosen Wanderungen durch Wälder, Wüsten, an Stränden und über Berge und durch Höhlen.

Sie wurde in Deutschland geboren, hat Holland, die Schweiz, Slovenien, Italien, Spanien, Frankreich und Österreich bereist, bevor Südafrika ihr Zuhause wurde. Sie hat die Pyreneen und Alpen durchquert und war mehr als hundert Mal auf dem Tafelberg. Sie stand Giraffen, Pavianen, Eseln, Straussen gegenüber, hat einen Schlangenangriff von einer Cobra überlebt und einen Absturz vom Berg. Sie spielte mit großen Vögeln, Schafen, Leopardenfröschen und Schildkröten. 

Sie hat viele Kinder und Erwachsene glücklich gemacht, und ganz besonders uns und Ihren Lebensgefährten Athos.

Vermutlich hat der Gehirntumor ihr ein Ende bereitet, sie hat heute Nacht ums ein Uhr aufgehöhrt zu atmen. 

Wir würden uns freuen, KEINERLEI Kommentare, Fragen, Kondulierungen, Ratschläge etc. zu erhalten, weder schriftlich noch mündlich.

Marc+Lena mit Athos

Hoffnung.

Hier gibt es noch Hoffnung. Ich habe sie neulich noch getroffen. Eine junge Frau. Hope (Hoffnung) ist ihr Name.

Recht skuril für uns sind diese Namen. “Faith” (Glaube/Vertrauen) ist noch recht normal, “Loveness” kenne ich schon lange, sie ist wirklich nicht das was ihr Name vielleicht suggeriert. “Nokia” ist nicht mehr so beliebt wie früher, dafür gibt es neue Pässe für “Victor Dont-Worry”, “Killmequick Jeffrey” oder “Captain Morgan” (alles Vornamen).

Ich kann es fast verstehen. Hier ist man sonst britisch unkreativ was Vornamen angeht. Wir kennen hier 7 Richards und 5 Pauls, zahllose Christophers und Patricks, und wenn Du in einer Bar “Gustav” rufst, drehen sich eine Menge Köpfe zu Dir. Was nur aus den traditionellen Namen wie Nthabiseng und Thandile geworden ist? Afrikanische Namen sind ausdrucksvoll. “Athiambiwied” bedeutet “darüber soll man nicht reden”, “Donation” (Spende) versteht jeder, und – mein persönlicher Favourit – “Fhulufhuwani” bedeutet schlicht “Vergiss es”. Die richtige Aussprache hat man eigentlich schnell drauf…

…denn zum küssen sind sie da

Wer kennt das nicht. Die Sonne scheint, die Leute schlendern entspannt durch die Gegend, der Kerl Mitte Zwanzig neben Dir trägt Boardshorts und Flip-Flops. Die Sonne spiegelt sich in seiner Brille wieder. Du riechst seine Sonnencreme. Ein Blick in sein Gesicht offenbart Dir ein zahnloses Lächeln.

Moment mal. Lächeln, aber keine Zähne? Na klar, Du bist in Kapstadt, und der Kerl ist farbig! Bei Schwarz und Weiß gibt es das nicht, aber Farbige lieben es. Die Passion Gaps, Lücken der Leidenschaft. So wird sie genannt, die Zahnlücke die Mann und mitunter Frau sich in der oberen Kauleiste von Eckzahn zu Eckzahn machen läßt. Chirurgisch präzis in der Klinik oder zuhaus mit dem Schraubenzieher, je nach Budget.

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Als wir in Kapstadt ankamen, dachten wir es läge an der schlechten medizinischen Versorgung. Oder ausgeschlagen beim Raubüberfall. Mitnichten. Zwar ist Medizin (oder Zugehörigkeit zu einer Gang) auch mal Ursache für die Zahnlücken. Aber zu 85% doch folgendes, belegen Studien. Beides ist für uns so lustig wir unvorstellbar:

Der Wunsch, besser zu küssen. Farbige meinen, ohne diese Zähne sei das Küssen halt besser. Lena meint – “Wer will soetwas nur küssen?”. Der zweite Grund ist dann der Beruf. Viele Leute hier fischen beruflich, legal und illegal. Um auf See besser und lauter pfeifen zu können, sollen die Zähne weg. Passion Gaps – Könnt ihr ja beim nächsten Ostseeurlaub mal ausprobieren. In Kanada soll das dann auch schon öfter vorgekommen sein, dass mit den zahnlosen Fischern.

Ich jedenfalls gebe meine Zähne nicht ab, weder um besser zu küssen, noch um besser (oder überhaupt) zu fischen. Obwohl es ein probates Mittel wäre die deutschen Krankenkassen ein wenig zu entlasten…